„Dranbleiben an einer Sache, Kontinuität und das Erfahren der eigenen Arbeitsweise...“
Beziehungslernen mit der Natur
Wie entwickeln Kinder eine Verantwortlichkeit für die Natur? Hier hat die Waldorfpädagogik eine Idee. Die Pflanzen- und Baumbetrachtung in der 5. und 6. Klasse macht einen umfassenden Blick möglich und lässt die Kinder eine bedeutsame Lernerfahrung machen, mit allen Sinnen: Die Erde ist ein Ganzes und die Rhythmen der Natur und ihre Charaktereigenschaften spiegeln sich im eigenen Leben wider.
Es geht raus aufs Schulgelände, um weiter die Baummappe zu füllen. Die Baummappe hat sich Klassenlehrer Felix Schanner für seine Schüler an der Waldorfschule Göttingen ausgedacht. Im 14tägigen Rhythmus beschäftigen sie sich mit der wissenschaftlichen Baumbetrachtung über das gesamte Schuljahr der 6. Klasse. Am Anfang steht die Wahl des Lieblingsbaumes. In den verschiedenen Wachstumsphasen Blätter sammeln und den Baum malen und zeichnen, ist ein Teil davon. Passend dazu liegt im Kunstunterricht der 6. Klasse der Fokus auf dem Schwarz-Weiß-Zeichnen.
Das Erleben von Kontrasten, Polaritäten und der Materialien, wie Kohle und weiche Graphitminen, passt zur eigenen Lebensphase der Vorpubertät. Der Abschied der Kindheit ist eingeleitet, der Übergang ins Jugendalter gleicht einer Verwandlung. Mit dieser Verwandlung geht es stark in Gegensätze hinein, oft ohne Übergänge. Über das Bild der sich verändernden Pflanzenwelt wird ein bildhafter Zugang zu sich selbst ermöglicht. Das Pulsieren der Natur, des Baumes, steht als Sinnbild für das eigene Erleben.
Am Anfang der Baumbetrachtung steht die Beobachtung, dann folgt als zweiter Teil die Beschreibung. Eigene Schlüsse daraus zu ziehen ist der nächste Schritt, um eine Gesetzmäßigkeit zu entdecken. Die Kinder lernen damit, sich klar und strukturiert auszudrücken. Sie lassen sich auf eine Sache ein, bilden und schärfen ihre Urteilsfähigkeit. Ihr freies Urteil zu entwickeln ist dabei wichtig.
Die Baumbetrachtung fügt sich in die Reihe anderer Inhalte des sogenannten Epochenunterrichts in der 6. Klasse, die einen spannenden Bogen abdecken von der Erforschung der Erdoberfläche, bis hin zu den Sternen, zu sich selbst in der Beziehungskunde und zur Gemeinschaft: Geografie, Sprachlehre, die Römerepoche, Geometrie, Mathematik, Himmelskunde, Medienkunde, Beziehungskunde, Gesteinskunde und eine Klassenfahrt in die Eifel.
„Dranbleiben an einer Sache, Kontinuität und das Erfahren der eigenen Arbeitsweise, das erlebe ich bei meinen Schülern. Und mich fasziniert die Wirkung des Epochenunterrichts: Die intensive Beschäftigung innerhalb von 3 bis 4 Wochen mit einem Thema ermöglicht, dass das Feuer überspringt und dann folgt das Loslassen. Es ist auch ein Rhythmus. Im jetzigen Alter stehen Kinder selbstbewusst da. Ihre eigene Meinung ist wichtig.“, so Klassenlehrer Felix Schanner.
Lust, mehr über Waldorfpädagogik zu erfahren? Die Waldorfschule Göttingen lädt zum Infoabend ein am 26.1.2018 um 20 Uhr. www.waldorfschule-goettingen.de
Katharina Wyss